10) Unterscheidet sich der Stil von Murnau von dem von Wiene?
Ja, der Stil unterscheidet sich. Im Gegensatz zu anderen expressionistischen Filmen, die in Studios gedreht wurden, bevorzugte Murnau hier Außenaufnahmen; unter anderem dreht er in den Karpaten, in Wismar und in der Lübecker Altstadt, wo heute noch die Salzspeicher zu sehen sind, in denen Nosferatu seine Särge unterstellte. Natur, Landschaft, Gebäude und Menschen sind nicht Kulisse, sondern Teil einer durchkomponierten, sich verdichtenden Handlung, die von einer gespenstischen Stimmung getragen wird.
Durch eingeschnittene Negative vermittelte Murnau den Eindruck eines weißen Gespensterwaldes, durch Einzelbildschaltung entstand der Effekt unnatürlich ruckartiger Bewegungen der wie mit Geisterhand vorwärtsgestossenen Kutsche. In der Natur nutzte er dräuende Schatten, sturmgebeugte Bäume, jagende Wolken, schmale Wege, die sich im Unendlichen verlieren. Er betonte extreme Hell-Dunkel-Wirkungen der schwarzen Silhouette vor kalkigweißer Wand, den Kontrast von Proportionen, wenn sich die hohe dürre Figur durch geduckte Rundbogen schiebt.
»Nosferatu« ist seit »Caligari« der erste Film, der uns das Gruseln nicht mit lächerlich verzwickten Qual- und Mordmaschinen lehren will, wo wir nicht vor den gefährlichen Möglichkeiten der Technik, sondern vor den ungekannten Mysterien der Natur Angst bekommen.
»Caligari« war künstlerisch origineller und vollendeter. Gerade darum aber weniger schaurig als dieser »Nosferatu«. Angst und Schrecken lösten sich dort doch immer in eine ästhetische Harmonie, der Dekorativität auf, und das Traumhafte jener Bilder hielt sie in schwebender Ferne. Aber die natürliche Natur des Nosferatufilms bringt uns seine Schrecken in unheimliche Nähe. Der ausgezeichnete Regisseur dieses Films beweist es uns wieder einmal, dass die stärkste Ahnung des Übernatürlichen gerade aus der Natur zu holen ist.
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